Eine posthumane Geschichte
von Pat To Yan
Filmfassung / per Stream aus dem Schauspiel Frankfurt
Karten Vorverkauf unter https://www.schauspielfrankfurt.de/spielplan/kalender/eine-posthumane-geschichte/237/ (Ticketkauf nur bis 19:00 Uhr möglich)
frei wählbares Preissystem: € 5 (ermäßigt)/ € 10 (regulär) / € 20 (Support Ticket)
→ Wiederholung der Aufzeichnung bis zum 31. Mai 2021 on demand verfügbar
Eine Produktion von Schauspiel Frankfurt.
Frank sits in front of the screen and bombs other countries using drones. This guarantees a livelihood for him and his family. However, there is a Cantonese curse on the birth of his son Anders: he is born without buttocks. The medical prowess of a Cyberbum comes to the rescue, as hoped. But there is a consequence of having such a high-tech artificial butt: Anders’ IQ rapidly increases at the same speed as he himself grows older. No matter – his bum is more intelligent, efficient and quick off the mark than his brain. Being a cyborg, is Anders already a harbinger from the future of human evolution? In “A post-human story” the Hong Kong author Pat To Yan investigates what could constitute the future of our human condition.
Vita
Pat To Yan, der 1975 in Hongkong geboren wurde, arbeitet als Dramatiker, Regisseur und Lehrer. Er studierte Englische Literatur und Soziologie in Hongkong und Szenisches Schreiben in London. Sein Stück „Eine kurze Chronik des künftigen Chinas“ war 2016 in der englischen Originalfassung als bislang erster Theatertext aus China zum Berliner Stückemarkt eingeladen. Es ist der erste Teil der Serie „Posthuman Journey“. Im zweiten Teil, „Eine posthumane Geschichte“, der nun am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt wird, erforscht der Autor, was „Menschsein“ in unserer Zukunft bedeuten könnte.

Universitäten wie Schlachtfelder
„Ich werde die weiße Knochenfrau wiederbeleben“
Die Dramaturgin Julia Weinreich im Gespräch mit dem Hongkonger Dramatiker, Regisseur und Soziologen Pat To Yan über Künstliche Intelligenz, einen Kantonesischen Fluch und über Magischen Realismus und die Spielräume, die er für das Drama eröffnet.
Julia Weinreich Pat To, wie bist du auf die Idee zur Serie Posthuman Journey (Eine post-humane Reise) gekommen?
Pat To Yan Es begann alles mit einer Reise. 2014 studierte ich Szenisches Schreiben in London. Für unseren Abschluss waren wir angehalten ein komplettes Drama zu schreiben. In den Unterrichtseinheiten hatten wir unterschiedliche Schreibexperimente zu bewältigen. Eines davon beinhaltete, dass wir eine ‚geheime Expertise‘ einbauen sollten. Einer meiner Mitstudierenden verriet mir sein Geheimnis: Er schrieb über den Unterschied von guten und schlechten Musicals; allerdings ist er weder Schauspieler noch Sänger. Er hatte mich aufs Korn genommen: er ist ein außergewöhnlicher stand-up Comedian und die Idee mit dem Musical war ein Witz. Das inspirierte mich für die erste Szene von A Concise History of Future China (Eine kurze Chronik des künftigen Chinas), die später die zweite Szene im Stück wurde.
Während ich A Concise History of Future China schrieb, entschied etwas in mir instinktiv, dass es eine Trilogie werden würde. Ein kurzes Stück, das ich einige Zeit vorher geschrieben hatte, diente mir als Ausgangspunkt für das zweite Stück Posthuman Condition (Eine posthumane Geschichte). Wieder hatte es mit einer Reise zu tun, die ich 2014 im Sommer nach Berlin unternommen hatte. Ich habe dort eine Ausstellung besucht, deren Thema die Zukunft des Militärs war. Es wurde deutlich, dass man sich zukünftig mehr und mehr auf die Kontrolle von Drohnen und Robotern konzentrieren würde: Die Soldaten müssen für diese Einsätze physisch nicht anwesend sein. So entstand der Prolog für Posthuman Condition.
JW Die Trilogie Posthuman Journey steht in der Tradition des Magischen Realismus. Was bedeutet er für dich?
PTY Ja, alle meine Stück stehen in der Tradition des Magischen Realismus. Haruki Murakami, Gabriel Garcia Marquez, Italo Calvino und andere haben mich als Leser stark geprägt. Das bedeutet nicht, dass ich nicht auch realistische Stücke schreibe, aber der Magische Realismus entspricht mir sehr.
Andererseits habe ich auch Soziologie studiert. Max Weber hat die Begriffe „Verzauberung“ und „Entzauberung“ geprägt, um u. a. die Moderne von der Vor-Moderne zu unterscheiden. Ich denke, dass die Welt, wie wir sie sehen, nie das „ganze Bild“ ist. Es gibt so viele Dinge, die außerhalb unserer Wahrnehmung liegen und dabei doch entscheidender Teil unserer Welt sind.
JW In deinem Stück Posthuman Condition gibt es diese erstaunliche Figur Another (im Deutschen Anders), der ohne Gesäß geboren wird, dem aber, Dank medizinischer Hilfe, ein Cyberpo eingesetzt wird. Dieses Cybergesäß scheint indes ein Eigenleben zu führen: Es entwickelt eine rasende Intelligenz, so dass der Po am Ende schlauer ist als das Gehirn von Anders. Und: Im gleichen Maße wie das Gesäß intelligenter, effizienter wird, altert Andres in Jahren. Wie kamst du auf diese abgefahrene Idee?
PTY Die Figur erfuhr ihre Geburt während des Schreibens des Prologs, den ich erwähnt habe. Frank wünschte sich unbedingt eine Familie und dann kam Anders ziemlich zügig zur Welt. Als ich mich dann entschied, daraus ein abendfüllendes Theaterstück zu machen, habe ich mich gefragt, wie diese Baby wohl aussieht. Gleichzeitig war ich der Meinung, dass Frank für seine weitreichende Entscheidung, aus dem Homeoffice fremde Länder zu bombardieren, Konsequenzen tragen müsse. Da kam mir dieser Kantonesische Fluch in den Sinn: wenn du etwas Schlimmes tust, kommt dein Sohn ohne Gesäß zur Welt. Da das Baby aber unschuldig ist, weil es ein Baby ist, gebe ich ihm eine andere Chance zu überleben.
JW Was ist die Matrix deines letzten Stückes?
PTY Während ich A Concise History of Future China geschrieben habe, war ich vor allem an der politischen Analogie interessiert. Bei Posthuman Condition interessiert mich die Bedrohung, die von Künstlicher Intelligenz (AI) ausgeht. Es liegt mir aber gleichzeitig fern nur eine konservative Perspektive auf Technologie zu werfen. Deshalb habe ich mir ein Szenario überlegt, in dem wir mit AI leben. Klar, es gibt zahlreiche Herausforderungen und Konflikte. Aber da sich das Rad der Entwicklung von AI nicht zurückdrehen lässt, sollten wir uns fragen: Wie wollen wir uns darauf vorbereiten? Wie AI für uns nutzen? Werden wir als Cyborgs eine bessere Zukunft haben?
JW Bereits in deinem ersten Stück konnten wir schon Die weiße Knochenfrau kennenlernen. Jetzt taucht sie in Posthuman Condition wieder auf. Wer ist diese Verwandlungskünstlerin?
PTY Viele Leute, die A Concise History of Future China gelesen oder gesehen haben lie-ben diese weiße Knochenfrau. Einige haben mich sogar gefragt, warum sie nicht, wie Antigone, wieder zurückgekommen ist. Ich mag diese Figur auch sehr; noch bevor ich genau wusste, welche Geschichte ich mit Posthuman Condition erzählen will, wusste ich: ich werde sie wiederbeleben.
Sie kommt aus zwei Traditionen: Zum einen taucht sie in der klassischen Chinesischen Literatur und hier in The Journey to the West (Die Reise in den Westen) auf. In dieser Novelle ist die weiße Knochenfrau ein Monster, die den Großen Affen fressen will. Der Große Affe hatte nämlich eine Jungfrau für sieben Jahre in seiner Gewalt. Es heißt: Wenn jemand den Affen frisst, werden alle Tiere augenblicklich zu Menschen.
Zum anderen spielt die weiße Knochenfrau in der Buddhistischen Meditation eine gewichtige Rolle. Aus Buddhistischer Perspektive erleben wir Schmerz, weil wir an Dingen und Menschen festhalten. Wir halten an Beziehungen, an Gefühlen, an allem möglichen fest. Anstatt uns z. B. von einem Mensch zu lösen, schlägt diese spezifische Art der Meditation folgendes vor: Stell dir die Person, die du liebst, sehr alt vor, stell dir vor, sie stirbt, ihr toter Körper löst sich auf bis nur noch Knochen übrig sind. Dann verstehst du, dass nichts ewig ist.
JW Jedes deiner Stücke hat diese im Wortsinne fantastischen allegorischen Figuren wie z. B. in Posthuman Condition Der Mann, der das Geisterkind füttert oder Das Mädchen mit dem Baum. Für was stehen sie?
PTY Ich bewundere die Arbeiten des französischen Schriftstellers und Regisseurs Joel Pommerat. In Je Tremple führt er die Charaktere genauso ein. Sicher gibt es das auch bei anderen Autor*innen. Ein Name kann ein Bild sein - ein herrlich provokanter Gedanke. Der Mann, der das Geisterkind füttert ist skrupellos, ohne jegliches politisches Ideal. Er giert nur nach Macht und Kontrolle. Ich habe mich von Junius Ho, einem Hongkonger Politiker dazu inspirieren lassen. Er initiierte 2019 den Angriff auf Yuen Long und kollaborierte mit Kriminellen. Er selbst bezeichnet sich als gläubiger Christ; einem Bericht zu Folge hat er zuhause das Geisterkind gefüttert. Wenn du, laut einer Taiwanesischen Sage, das Geister-kind fütterst (ein Kind, das jung gestorben ist), wird er oder sie dir helfen, das zu bekommen, was du willst.
Das Mädchen mit dem Baum war nicht geplant. Sie tauchte plötzlich auf während ich schrieb. Anders wollte jemanden treffen. Da stand sie plötzlich da mit einem Baum auf dem Kopf. Danach erst habe ich ihre Geschichte erfunden. Der Baum auf ihrem Kopf als Symbol des Widerstands gegen die Bio-Technologie.
JW Welche Bedeutung haben für dich Die Summe der gequälten Seelen aus Eine posthumane Geschichte?
PTY Es gab unzählige Menschen, die in meinem Land gelitten haben. Sie sind immer in meinem Kopf. Wenn alle Opfer in einer Person gefasst wären, was würde dann passieren? Würden sie Gerechtigkeit einfordern? Zhang Zhixin war eine der tragischsten Personen in der Geschichte der CCP. Weil sie Mao für seine Kulturrevolution kritisierte, wurde sie für sechs Jahre inhaftiert, gefoltert und schließlich ermordet. Ich denke an sie, wenn ich über die „gequälten Seelen“ schreibe.
JW Worum wird es in dem dritten Teil deiner Trilogie gehen?
PTY Der dritte Teil erzählt von einem Trip durchs Universum. Der Titel ist noch nicht final entschieden: Vielleicht wird es The Sound you can hear everywhere in the Universe oder Farewell to the Universe oder nochmal anders. Ausgangspunkt wird dann sein, dass alle die Welt verlassen haben. … Es ist kompliziert. Ich sitze gerade an der Basisarbeit zu dem Stück und stelle fest, dass ich immer noch unfähig bin Menschen und Politik hinter mir zu lassen.
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